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Essays

hier: I) über "Unwort des Jahres";  II über "GroKo" und Schulz-Effekt; III über "me-too" und Sexismus; IV über Sex und Scham;

I

Gedanken zum "Unwort des Jahres"


Jedes Jahr wiederholt sich der Unsinn aufs neue: eine Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich kürt das "Unwort des Jahres". Diese seltsame Unwort-Aktion gibt es seit dem Jahre 1991 und soll vorgeblich das Sprachbewußtsein und die Sprachsensibilität der Bevölkerung fördern. Der Blick soll auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen im öffentlichen Sprachgebrauch gelenkt werden. So folgte nun nach "Döner-Morde" (2011), "Opfer-Abo" (2012), "Sozialtourismus" (2013) für das Jahr 2014: "Lügenpresse". Die Begründung jener 'Unwort-Jury' für ihre Entscheidung unter anderem: das Schlagwort "war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, daß diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten Jahr als "besorgte Bürger" skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen. Dass Mediensprache eines kritischen Blickes bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel. Mit dem Ausdruck "Lügenpresse" aber werden Medien pauschal diffamiert, weil sich die große Mehrheit ihrer Vertreter bemüht, der gezielt geschürten Angst vor einer vermeintlichen "Islamisierung des Abendlandes" eine sachliche Darstellung gesellschaftspolitischer Themen und differenzierte Sichtweisen entgegenzusetzen. Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist." (diese Begründung zit. nach Webseite "unwortdesjahres.net")

Ob damit wirklich das gesetzte Ziel, nämlich zu "alltäglicher sprachkritischer Reflexion" anzuregen, erreichbar ist, bezweifle ich füglich. Vielmehr dürfte Sensationshascherei und die damit verbundene Kurzlebigkeit, somit auch Oberflächlichkeit eher Ergebnisse dieses Unterfangens sein.

Die Jury definiert sich als ehrenamtlich tätig und institutionell unabhängig: Vier Sprachwissenschaftler bzw. Sprachwissenschaftlerinnen und ein Journalist / eine Journalistin sollen jeweils dem Gremium angehören. Jene halten "Sprachkritik auch außerhalb der Universität für relevant".  Im jährlichen Wechsel wird die Jury "durch ein weiteres sprachinteressiertes Mitglied aus dem Bereich des öffentlichen Kultur- und Medienbetriebes ergänzt. Sie ist weder an einzelne Universitäten, Sprachgesellschaften, Sprachvereine oder Verlage gebunden. Die Mitglieder verstehen sich in ihrem ehrenamtlichen und unabhängigem Tun als Vermittler öffentlichen Unbehagens an bestimmten Sprachgebrauchsweisen, nicht aber, wie häufig mißverständlich geurteilt werde, als sogenannte Sprachschützer.

Die Arbeit der Jury setzt entsprechend diesem Selbstverständnis "das Interesse und die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger" voraus; "bis zum 31.12. eines jeden Jahres kann jeder "Unwortvorschläge" einreichen (bitte mit kurzer Begründung und Quellenangaben!)." (ebd.) Die Jury wählt also aus den aktuellen Einsendungen aus, schafft also selbst keine "Unwörter".

Wie wird nun nach Meinung der Juroren ein Wort zu einem "Unwort"? "Die Grundannahme: Unwörter entstehen im Gebrauch. Sprachliche Ausdrücke werden dadurch zu Unwörtern, dass sie von Sprechern entweder gedankenlos oder mit kritikwürdigen Intentionen verwendet werden, und dies im öffentlichen Kontext. Die Kritik an ihnen ist Ausdruck auf mehr Verantwortung im sprachlichen Handeln." (ebd.)

Nochmals zusammenfassend und erweiternd: Die Aktion "Unwort des Jahres" möchte also auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und so das Sprachbewußtsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerunt fördern. Daher lenkt sie "den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen." Beispiele solcher Verstöße sind Verstöße gegen das Prinzip der Menschenwürde (z.B. Geschwätz des Augenblicks für Mißbrauchsfälle in der katholischen Kirche), gegen das Prinzip der Demokratie (z.b. alternativlos als Haltung resp. Position, Diskussionen zu vermeiden, zu verhindern und / oder sich einer Argumentationspflicht zu entziehen), Verstöße die einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren (durch unangemessene Vereinfachung oder Pauschalverurteilungen, z.B. Wohlstandsmüll als Typisierung von arbeitsunwilligen oder arbeitsunfähigen Menschen) sowie Formulierungen, die euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind (z.B. freiwillige Ausreise als Behördenterminus für nur bedingt oder gar nicht freiwillige Rückkehr von Asylbewerbern in deren Heimatländer).

"Wesentlich ist, dass die betreffenden Wörter und Formulierungen öffentlich geäußert wurden, eine gewisse Aktualität besitzen und der Äußerungskontext bekannt bzw. belegt ist." Die Anzahl der Unterstützer bzw. der Unterstützerinnen spielt angeblich keine Rolle -- ausschlaggebend sollen nur inhaltliche Kriterien sein. (vgl. ebd.)


Die genannten Ziele in allen Ehren! Ebenso die erklärte Absicht "unabhängig" zu sein, damit implizit wohl auch: unabhängig zu urteilen. Nur denke ich nicht, daß die vorgegebenen Ziele auch nur im Ansatz erreicht werden! Was bleibt, dürfte der reine Unterhaltungswert sein, wie wir ihn aus (den zumeist inhaltsleeren) Talkshows und anderem Medienspektakel kennen. Der Bildungswert dürfte gleich Null sein ...

Vielleicht sollte sich die Jury einmal überlegen, inwieweit sie gerade durch ihr Wichtigkeitsgebaren selbst dazu beiträgt, kommunikative Eindimensionalität zu befördern! Und zudem stünde es allen jenen Mitgliedern einmal gut an, Selbstreflexion zu betreiben und ihren jeweils mindestens zweifach präformierten Status innerhalb der Gesellschaft zu berücksichtigen: sie arbeiten nicht in einem Vakuum, sie können eben nicht "objektiv" sein, sie sind stets Kind ihrer gesellschaftlichen Positionierung. Vielleicht ist ja bereits die Tatsache, sich anzumaßen, hier ein relevantes Urteil abgeben zu können und zu wollen, der erste Schritt auf einem Irrweg.

Und sprachlich sollte man sich ruhig einmal mit basalen Dingen zunächst auseinandersetzen: Was soll denn das -- UN-WORT??? Dieses vielfach überflüssige wie auch fälschliche Spiel mit der Vorsilbe "un" ... Ein Wort ist immer ein Wort, kein Nicht-Wort, also kein Un-Wort. Die Qualität der Aussage, die sich hinter einem Wort verbirgt, ist die Crux. Nicht das Wort als solches. Aber die Fragwürdigkeit der Wortschöpfungen mit der Vorsilbe "un" ist ja genauso bekannt wie sie dann konseqent auch mißachtet wird. Ein weiteres Beispiel hierfür: "UN-Kosten"; diese gibt es eben nicht im wirtschaftlichen Kontext, denn es sind immer Kosten -- sie mögen unerwünscht, unerbeten, unliebsam, lästig, oder was weiß ich noch nicht alles sein, aber es sind und bleiben einfach nur: Kosten.
Und weshalb ist ein unerwünschtes Wetter gleich ein UN-Wetter? Sind Pflanzen, Kräuter, die man dann UN-Kräuter nennt, denn keine Kräuter mehr, nur weil sie irgendwelchen Leuten aus welchen Gründen auch immer eine Art Dorn im Auge sind? Ist das Gegensatzpaar Sinn - Unsinn sprachlich wirklich vor dem Hintergrund der einschlägigen Auseinandersetzung um "gehaltvoll" versus "gehaltlos"zu rechtfertigen? Der Beispiele gäbe es noch viele, entsprechend auch sinnvollere Aufgaben für Sprachwissenschaftler ...

Die "Unwort-Juroren" werfen den Personen, die auf Demonstrationen das Wort "Lügenpresse" gebrauchen, zumindest durch die Wahlt jenes Begriffes zum "Unwort des Jahres" faktisch vor, hier eine unangemessene Verallgemeinerung zu betreiben, sehen sogar die Pressefreiheit dadurch gefährdet. Da sollte man besser mal die Kirche im Dorfe lassen und nicht immer in historisch unseligen Kontexten wühlen und Verbindungen krampfhaft oder leichtfertig herstellen, die in dieser Form nicht aufrecht zu erhalten sind. Gerade Sprachwissenschaftler, denen kontextuelle Exegese geläufig sein dürfte bzw. sollte, müssen sehr wohl sehen, worauf sich die Benützer dieses Wortes "Lügenpresse" tatsächlich und nicht vermeintlich beziehen!
Es ist eigentlich recht deutlich, daß auch mit verkürzenden Darstellungen, mit einseitiger Berichterstattung, mit dem Ausblenden von Alternativen (also all jenen Aspekten, die den Juroren selbsterklärtermaßen am Herzen liegen und die sie mit ihrem auswählenden Tun schützen möchten ...) gerade nicht die Suche nach der Wahrheit befördert wird, sondern -- fahrlässig oder gar bewußt -- somit genau das Gegenteil von "Wahrheit", von "Objektivität" geleistet wird -- ein Umstand, den man sehr wohl mit dem Begriff "Lüge" fassen kann.
Gehen wir einmal davon aus, daß die überwiegende Anzahl jener Demonstranten darauf hinweisen, daß es seitens einiger(!!!) Medien erhebliche Mängel im Bemühen um unverzerrte Darstellung von Sachverhalten gibt, daß genau jene Politische Korrektheit befördert wird, die faktisch Diskussion mangelhaft und damit nicht mehr zielführend, also dem eigentlichen Zwecke dienend, geraten läßt.

Wer nun, wie die Jury, ganz bewußt diese unangemessene Generalisierung der Begrifflichkeit, nochmals: eine, die von den allermeisten Demonstranten so nicht gedacht ist!, vornimmt, weist der Demokratie und dem allgemeinen Sprachverständnis gegenüber gewiß keinen förderlichen Dienst. Es ist schlicht und einfach zu billig, immer wieder in die historische Mottenkiste zu greifen, wenn man selbst keine Alternativen mehr suchen kann oder finden will. Warum denn keine differenziertere Bewertung der Motive all jener Demonstranten? Warum hier das einsetzen, was man den anderen genau immer wieder vorwirft: die Pauschalisierungskeule und das Vereinfachungsgemüt? Es ginge wahrlich besser und auch:. ehrlicher!
Auch sollten die Jurymitglieder als Bestand der hiesigen Alltagsgesellschaft sehr wohl zur Kenntnis nehmen, daß gerade in sprachlicher Hinsicht plakativer Umgang und die ebensolche Beschreibung von Sachverhalten mittlerweile gang und gäbe sind, ein weiterer Tatbestand, der zu einer eher vorsichtigen Würdigung mit sorgsamer Motivforschung, ehe man dann ein Urteil fällt, mahnen und zugleich anregen sollte ...

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Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, daß im Kontext jener übermächtigen subjektiven Übereinkunft von Juroren, Einsendern und Medienspektakel in Sachen "Unwort-Wichtigtuerei", von meiner bescheidenen Ansicht Kenntnis genommen, oder gar kritisches Überdenken stattfinden wird, äußerst gering ist, habe ich folgende E-Mail an jene Damen und Herren der Jury, denen das alljährliche "Un-Wort"-Spektakel so am Herzen zu liegen scheint, geschrieben. Diese legt weitere tragende Schwerpunkte meiner Sichtweise dar, untermauert die hier gemachten Ausführungen und deshalb füge ich sie hier nachstehend unverändert bei:

Joachim Buchenau M.A., 86874 Tussenhausen

Sehr geehrte Damen und Herren,

kann man denn diesen m.E. Unsinn des "Unworts des Jahres" nicht ganz einfach bleiben lassen und sich wirklich wichtigeren Dingen zuwenden?! Außerdem erscheint mir das alles schon eine erhebliche "Wichtigmacherei" sowie "Wichtigtuerei" zu sein. Daß diese dann durch eine durchaus breit gefächerte intersubjektive Übereinkunft (vielen Medien etc.) "wertgeschätzt" und "hochgehalten" wird, macht es bestimmt nicht besser, schon gar nicht gehaltvoller ...

Es gäbe hinsichtlich Funktion von Sprache sehr viel mehr und vor allem Grundlegenderes zu untersuchen, was für die gesellschaftliche Fortentwicklung dienlich wäre. Ideologiekritik beispielsweise, weshalb "Neusprech", weshalb "Political Correctness", weshalb Euphemismen den Weg zur Entwickling einer wirklichen Diskussionskultur (Diskussion muß immer offen sein, erst nach Sichtung aller involvierten Aspekte lassen sich dann ggf. Schlüsse von Affirmation bis hin zur Ablehnung ziehen.) eher zuschütten denn ebnen. Das wäre mal eine Aufgabe, freilich eine, mit der man sich im Mainstream nicht immer beliebt und wichtig machen kann.

Nehmen wir ein altes Beispiel (als exemplarisches): Jenes "suum cuique", das eigentlich sinngemäß auf Platon zurückgeht und heutzutage verpönt, also: politisch unkorrekt, ist, weil es Verbrecher des Naziregimes und deren Mitläufer ebenfalls verwendet haben. Was hat Platon gemeint? Sinngemäß, das Seine zu tun und nicht vielerlei Dinge zu treiben, sprich: sich zu verzetteln. Also gerade in sogenannten Burnout-Zeiten durchaus ein diskussionswürder Aspekt! Jene sprachlich verdichtete Form soll nun ihrer jahrtausendealten Tradition beraubt werden, "nur" weil Politverbrecher die Begrifflichkeit bis hin zur Unkenntlichkeit verzerrt haben? Da hätten wir, da hätten Sie mit vielen Begriffen eine Unmenge zu tun. Allerdings letztlich: ein sinnloser Aufwand, weil man den Irren damit zuviel der Ehre antäte. Ein Aufzeigen der Unterschiede im Denken und in der Assoziation der jeweils den Begriff Gebrauchenden wäre hier zielführend -- nicht die Tabuisierung der Begrifflichkeit!

Kurz nun zu Ihrer diesjährigen Wahl: "Lügenpresse". Es ist sicherlich unbestreitbar, daß bereits zu Zeiten des Ersten Weltkrieges und vor allem auch dann bis hin zum sog. Dritten Reich dieser Begriff als Kampfbegriff verwendet wurde, vor allem mit dem Hintergrund, zu diffamieren UM EIGENE MACHT zu erweitern bzw. durchzusetzen. Nur, das kann man dem deskriptiven Begriff als solchen gewiß nicht anlasten. Hätten Sie lieber einmal untersucht, weshalb gerade dieser Begriff zur Beschreibung von Teilen der Medienmacher gegenwärtig -- wiederum auch nur -- von Teilen der Bevölkerung benützt wird!
Hätten Sie den Unterschied von Wahrheit und Lüge, von den dazwischen liegenden Nuancen einmal erläutert, das Spannungsgefüge erhellt. Das wäre sinnvoll gewesen: Diese  für Aufklärung sorgende Vorgehensweise statt jenem sehr narzißtisch gekränkt anmutenden Rundumschlägen ...

Eine Frage  zum Nachdenken bzw. Überdenken: Wie soll man es denn nennen, wenn Elemente der Wirklichkeit ausgeblendet werden, um die Wirklichkeit als solche dann verzerrt, einseitig oder wie auch immer verkürzt darzustellen? Wenn dies aus ökonomischen Gründen geschieht (z.B. Zeitbudget, Auftragslage, Vorgaben, Quotensteigerung)? Wenn dies vielleicht gar jenen zuarbeitet, die in "Denkverboten" ihre Welt- und Weitsicht zu begrenzen versuchen? Wenn faktisch Vereinfachung betrieben wird, konstituierende Probleme tunlichst ausgeklammert werden und man genau diesen Vorwurf jeweils anderen Adressaten gegenüber erhebt, dies mit der mehr oder weniger massiven Aufforderung zu "Einsicht und Umkehr", letztlich zur: unkritischen Unterordnung, sich selbst also als "DAS BESSERE" darstellt?

Hilfreich und zielführend dürfte das nicht einmal kurzfristig sein!

Wer die Wahrheit kennt und sie bzw. wesentliche Teile von ihr verschweigt, "lügt" der denn nicht, vor allem dann, wenn "objektive" Berichterstattung als Selbstbild stets vorgegeben wird?! Ich meine: ja, das ist auch eine Form von Lüge. Und gibt es Magazine sowie Presseorgane als auch TV-Politdarstellungen, die genau sich in jener oberflächlichen, nicht selten auch (irgendwie) verlogenen Ebene wiederfinden? Ja, die gibt es! Vielleicht sind sie sogar in der Mehrheit, was natürlich vielfachen Vorbedingungen geschuldet sein kann. Geschuldet, nicht entschuldigt (sofern man am Bemühen um Objektivität interessiert ist)!!!
Und jene, die hier da mehr oder weniger kläglich versagen, sich "schuldig" machen, wie soll man denn die dann letztlich bezeichnen können, ohne daß / dass (auch so eine Anmaßung -- diese sog. Rechtschreibreform!) man wieder das (bedenkliche) Damoklesschwert Ihrer Reglementierungsversuche zu erwarten hat??? Bedenklich deshalb, weil doch eine gewisse Breitenwirkung mit faktischer Manipulation dadurch ausgelöst wird -- weitgehend wohl in Form unkritischer Adaption.

Wenn Sie nun meinen sollten, es gehe ja "nur" um den reinen Wortsinn, dann haben Sie etwas übersehen (siehe mein Beispiel mit "suuum cuique"). Wenn Sie jedoch darauf verweisen, daß (sic!) Sie ja eine "hinreichende" Begründung für ihren "Daumenrunter" geliefert haben, dann sollten sie sich überlegen, ob "hinreichend" auch wirklich in diesem Falle auch "hinreichend" ist; vielleicht ist ja nicht einmal die notwendige Bedingung für Ihre "Wahl" erfüllt ...

Mit freundlichen Grüßen und mit der Hoffnung auf mehr Sinnhaftigkeit

Joachim Buchenau





II

Gedanken zu "GroKo"



"GroKo" -- Distanz zum Geschehen und Überlegungen zu einer verharmlosenden Begrifflichkeit
... Signale die man durchaus als von Übel sehen kann ...


Vielleicht als eine Art Einleitung zunächst dieses: In Großbritannien reicht ein Mitglied des Oberhauses des britischen Parlaments (House Of Lords), Lord Michael Bates, seinen Rücktritt ein, weil er 5 Minuten zu spät im Parlament zu einer Anhörung erschienen war ... Wörtlich sagte der Minister für internationale Entwicklungshilfe: "Ich möchte mich bei Baroness Lister aufrichtig dafür entschuldigen, daß ich nicht zur Stelle war, um ihre Fragen zu einem sehr wichtigen Thema zu beantworten. (...) Während der letzten fünf Jahre, in denen ich das Privileg hatte im Auftrag der Regierung hier Fragen zu beantworten, war ich immer der Überzeugung, daß wir die höchsten Standards der Höflichkeit und es Respekts einhalten sollten. (...) Ich schäme mich sehr, nicht da gewesen zu sein und deshalb werde ich der Premierministerin meinen Rücktritt anbieten, mit sofortiger Wirkung." Dies gesagt habend, verließ der Herr dann den Raum.

Die Premierministerin Theresa May hat dieses Rücktrittsgesuch sinnvollerweise abgelehnt. Aber es bleibt erwähnenswert und sollte ruhig einmal einige Überlegungen wert sein: Dieses hierzulande eher nicht praktizierte subjektive Empfinden, sich nicht richtig gegenüber den anderen verhalten zu haben und deshalb Konsequenzen ziehen zu wollen. Jener Minister meinte eben, das sei ihm in seiner ganzen Amtszeit nie passiert und die Mitglieder des Parlaments hätten ein Recht, ernst genommen zu werden, wozu eben auch absolute Pünktlichkeit (auch aus Achtung und Respekt den anderen gegenüber) gehöre. Jedenfalls halten wir schon mal fest: da glaubt einer, einen Fehler gemacht zu haben und zieht aus dieser Einschätzung eine (für ihn dann sicherlich auch) gravierende Konsequenz. Denn immerhin verliert er auf diese Art ein Amt, das ihm Ansehen und sicherlich auch eine durchaus üppiges Einkommen sichert.
Aus meiner Sicht: eine Bagatelle natürlich, 5 Minuten Verspätung als Grund für persönlich empfundene Unbotmäßigkeit mit derartigen Verhaltenskonsequenzen als Folge ... Alles andere eben als ein Rücktrittsgrund, meine ich. Doch einen weiteren Gedanken ist das schon wert: Wo verläuft eigentlich die Grenze, bei deren Überschreitung man konsequent wird und auch so handelt?

Daran schließe ich die Frage an: Gibt es so etwas wie Konsequenzen aus falschem Verhalten, aus Wortbruch, aus falscher Selbstdarstellung, aus fehlerhafter Selbsteinschätzung, aus Fehlerverursachung eigentlich auch bei uns im Lande?
Eher nicht, eher undenkbar, wie die vielseitigen Erfahrungen, wie die Geschichte (von extrem seltenen Ausnahmen einmal abgesehen) lehren und wie einmal mehr das Gehacke rund um das, was denn medienwirksam dem Volk als GroKo beschrieben und verkauft wurde, deutlich zeigt.

"GroKo", eine eher verharmlosende, fast schon kosenamenhafte Umschreibung für etwas, das man eher als äußerst bedenklich (auch weil: eine Art Medientheater gemäß dem Motto, wir wissen zwar nichts wirklich Mitteilenswertes, aber wir müssen die Konsumenten unterhalten und mit einer So-tun-als-ob-Dauerberieselung volldröhnen, durchaus in vielerlei Hinsicht ein Fall von much-ado-about-nothing) denn als Gewinn für unsere Demokratie verstehen sollte.

Das Ergebnis zeigt es meines Erachtens überdeutlich: Es ging hier in erster Linie um einen Machterhalt bestimmter Personen und dafür wurden so allerhand im Vorfeld und im Wahlkampf hochgehaltene Prinzipien und Versprechungen preisgegeben. 12 Jahre haben sie reagiert, jene Damen und Herren der CDU/CSU und SPD und jetzt soll es mit diesen Gruppierungen plötzlich den versprochenen Politikwechsel geben? Doch wohl kaum vorstellbar! Wenn man dann noch sieht, was herausgekommen ist -- in diesen auch noch "nächtelangen Anstrengungen" (soll man denn Mitleid mit jenen haben, die so eine Arbeit, dazu noch mit so einem dürren Resultat, nicht ohne lange Nachtsitzungen erzielen können?!) --, dann findet man durchaus hinreichend Ansätze für meinen Skeptizismus. Zudem: die neuen Versprechungen sind zu großem Teil die alten, alte, die man in 12 Jahren Regierungsarbeit auch nicht adäquat einlösen konnte bzw. wollte. Daß nun alle Beteiligten sich selbst ob des erreichten Erfolges in den Verhandlungen lobt, wundert kaum, denn dies ist der übliche Sing-Sang, wie man ihn von der Politik kennt. Anstatt sich zu schämen, für dieses uns nun vorgelegte "Resultat", so lange Tage und Nächte gebraucht zu haben, rühmt man sich nun ob der sogenannten eigenen Leistungen. Welche Leistungen eigentlich? (Durchaus vorstellbar und wohl auch sehr naheliegend übrigens, daß stinknormale Bürger und Bürgerinnen mit einem derartigen Input-Output-Ergebnis an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz sich sehr schnell einen neuen Arbeitgeber suchen müßten ...)

Jedenfalls dürfte das Gerangel um eben jene GroKo eines mit annähernder Sicherheit geleistet haben: die Politikverdrossenheit wird höchstwahrscheinlich dadurch nicht abnehmen, sondern sich eher noch vermehren. Schließlich regieren jetzt dann (von einer Ablehnung des Verhandlungsergebnisses der SPD-Basis gehe ich mal nicht aus!) zwei Wahlverlierer wieder zusammen, zwei, die all die Jahre nicht das, was unter Politikwechsel (Motto: "Wir haben verstanden!") zu verstehen (und immer wieder angekündigt wurde / wird!) ist, geschafft haben mit ihrem weiterhin allenfalls mittelmäßigem Personal für den Rest der Legislaturperiode ...

Warum meine Einleitung mit dem extrem rücksichtsvollen englischen Minister und seinem angebotenen Rücktritt wegen Zuspätkommens an dieser Stelle? Macht durchaus Sinn. Wie hatte doch einmal Wolfgang Schäuble (CDU) über den derzeitigen (und leider wohl auch: zukünftigen) Justizminister Heiko Maas (SPD) sich geäußert: "Ein anständiger Minister müßte da zurücktreten." Es ging damals um das, was Felix Krautkrämer in einem Artikel ("GroKo auf Teufel komm raus", Junge Freiheit vom 07. Februar 2018) folgendermaßen zusammengefasst hat, sich dabei auf die Maassche Äußerung bei Anne Will ("Wenn die Bürger andere Gesichter in der Regierung gewollt hätten, hätten sie eben anders wählen sollen.") beziehend: "So viel Frechheit zahlt sich aus. Maas wird wohl auch dem kommenden Kabinett angehören, möglicherweise sogar als Justizminister. Trotz seiner langen Kette von Fehltritten, Skandalen und Peinlichkeiten. Ob das handwerklich stümperhafte NetzDG, sein Agieren im Fall von netzpolitik.org, das in der selbstherrlichen Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range gipfelte, sein Lob für linksextreme Polizistenhasser oder seine Einmischung in das Verfahren um Gina-Lisa Lohfink: alles vergeben und vergessen." Krautkrämer spricht davon, daß Maassche "Amtsversagen chronische Züge" angenommen hatte und fragt: "Aber was gelten schon Charaktereigenschaften wie Anstand in einem Kabinett von Angela Merkel?" Verglichen mit dem Lord Michael Bates höchstwahrscheinlich nur versehentlich Widerfahrenden, hätte Heiko Maas -- jene englischen Maßstäbe an Achtung und Respekt unterstellt -- sicherlich einige gewichtigere Gründe gehabt, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Wir wissen jedoch: das stand nie zur Debatte.

Und was ist nun aus dem von den Medien (und SPD-Anhängern) so hochgefeiertem Martin Schulz und dem ihm zugeschriebenen "Schulz-Effekt" geworden? Freilich, es gibt ihn sicherlich noch, wenn man so will, jedoch mittlerweile zwangsläufig in einer gänzlich anderen Bedeutung: da ist ein Mann, der einst sicherlich, seine Biographie eventuell in der Aussagekraft überschätzend, etwas überheblich und siegessicher feststellte, er sei schließlich Wahlkämpfer (bei der Bürgermeisterwahl in Würselen hatte er seinerzeit nicht einmal einen Gegenkandidaten!), er könne Wahlkampf, dies mit der Zuversicht verbunden, er werde Angela Merkel als Kanzlerin ablösen (da ist er offensichtlich dann doch sehr schnell als Bettvorleger gelandet ...), der in der Folge kläglich scheiterte, danach sofort zusicherte, die SPD gehe auf jeden Fall in die Opposition (allein schon aus Staatsraison wolle und dürfe man der AfD nicht die führende Oppositionsrolle überlassen, so sein Diktum) und für ein Kabinett-Merkel stünde er auf gar keinen Fall zur Verfügung. Wir erinnern uns: der englische Minister wollte sich nur wegen 5 Minuten Verspätung zurückziehen! Martin Schulz jedoch strebt das Außenministerium nun an, unwillkürlich fühle ich mich da an das Sprichwort "Wie ein Phönix aus der Asche ..." erinnert. Felix Krauthammer wird da unter der Überschrift "Vom Abstellgleis zum Außenminister" noch deutlicher: "Wenn Anstand ein Maßstab für künftige Ministerämter wäre, hätte sich der scheidende SPD-Chef still und heimlich vom Platz stehlen müssen. So aber sieht der Bürger einmal mehr, was Beteuerungen von Leuten wert sind, für die Politik alles ist, die aber ohne Politik nichts sind."(ebd.) Und so manch einer wird sich an einen Auftritt von Martin Schulz in einer Talk-Sendung erinnern, wo er die Bürger und Bürgerinnen im Land für einen Vertrauensvorschuß gebeten hat, dies mit der Zusage, ihn dann auch einzulösen ... Wie sind in diesem Zusammenhang jedoch dessen immer wieder gebrochene Versprechen zu sehen? Kann man auf diese Art wirklich auf Vertrauen hoffen? Irgendetwas stimmt da doch nicht mehr. Jedenfalls werden wir nun wohl für eine Zeit von jenem Herrn in der Welt repräsentiert werden.

Interessant und nachdenkenswert ist es schon, wie es sein kann, daß der große Wahlverlierer SPD nun mit seinem kargen Ergebnis, derart üppig mit Ministerämtern belohnt wird. Erinnern wir uns zunächst an das Bundestagswahlergebnis 2017. Wir hatten eine Wahlbeteiligung von 76,2 Prozent (eine Steigerung gegenüber 2013 mit 71,% Prozent.

Die CDU erhielt 26,8 Prozent (2013; 34,1%), die CSU bekam 6,2 Prozent (2013: 7,4%) und die SPD nur 20,5 Prozent (2013: 25,7%). Der Vollständigkeit halber hier noch die Ergebnisse der anderen im neuen Parlament vertretenden Parteien: AfD 12,6 Prozent (2013: 4,7%); FDP 10,7 Prozent (2013: 4,8%); Die Linke 9,2 Prozent (2013: 8,6%); Grüne 8,9 Prozent (2013: 8,4%) (Quelle: Bundeswahlleiter, Pressemitteilung Nr. 34/17 vom 12. Oktober 2017) Die Unionsparteien haben zusammen also 33 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erzielt, die SPD erreichte nur 20.4%.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wenden wir uns nun zunächst einmal der beabsichtigten Ressort-Verteilung zu. Folgende Ministerien sollen die jeweiligen Parteien erhalten (erwartbare Minister jeweils in Klammern): Die CDU erhält 6 Ministerien: Verteidigung (Ursula von der Leyen), Gesundheit (Annette Widmann-Mauz), Ernährung und Landwirtschaft (Julia Klöckner), Bildung und Forschung (Hermann Gröhe), Wirtschaft und Energie (Peter Altmaier), Kanzleramtsminister (Helge Braun); die CSU erhält 3 Ministerien: Innenministerium mit Bauwirtschaft und Heimat (Horst Seehofer), Verkehr und Digitales (Andreas Scheuer), Entwicklung (Dorothee Baer); --- die SPD erhält 6 Ministerien:  Außenministerium (Martin Schulz), Finanzministerium (Olaf Scholz), Justiz (Heiko Maas), Familie (Katarina Barley), Umwelt (Barbara Hendricks), Arbeit und Soziales (Eva Högl). Rein rechnerisch sind sechs Ministerien für die SPD vertretbar, allerdings sollten es wirklich die relevantesten sein?

(Anmerkung: Ebenso schnell wie vollmundig die Ressortverteilung mit der Personenzuordnung verkündet wurde, gab es auch unmittelbar wieder Rückzieher und Veränderungen, dies vor allem durch einen neuerlichen "Schulz-Effekt" eingeleitet ... Wie es dann letztendlich wirklich aussehen wird, können wir frühestens nach dem SPD-Mitgliederentscheid, durch den festgelegt wird, ob die SPD überhaupt einer zukünftigen Regierung beitritt, erwarten. Meine Meinung: Diesem Zirkus wird entschieden viel zu viel positives Theater beigemessen anstatt die Armseligkeit dieser Politikverfaßtheit deutlicher zu betonen!)

Ein meines Erachtens ärmliches Spiel hat auch Sigmar Gabriel gezeigt. In seinem Gerangel mit Schulz wurde wieder einmal die bekannte Steigerungsform sehr deutlich: Gegner - Feind - Politikfreund ... In den Medien hieß es vielfach, daß nach 4 Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident, 8 Jahre als Bundesminister, davon 4 als Vizekanzler und 7 Jahren als SPD-Chef von dem Mann, den er selbst als Nachfolger vorgeschlagen hatte (wirklich so freiwillig, wirklich so ohne jegliche Zwangslage???), kurz und bündig abserviert wurde. Martin Schulz hatte natürlich einmal mehr ein zugesichertes Versprechen gebrochen: nachdem er niemals in eine GroKo eintreten würde (Versprechen unmittelbar nach dem SPD-Wahldesaster!) brach er auch die gegebene Zusicherung, wonach er niemals einem Kabinett-Merkel zur Verfügung stehen würde. Getreu der Devise "was interessiert mich mein Geschwätz von gestern" (bitte diese verkürzte Form nicht mit Konrad Adenauers damaliger ähnlicher Aussage von inhaltlicher Qualität assoziieren! Er hatte nämlich einen entscheidenden Zusatz, der beim Zitat fast immer unterschlagen wird, getätigt, nämlich, was ihn den hindern sollte auch gescheiter zu werden ...), sagte Schulz nun plötzlich: "Gabriel hat eine sehr gute Arbeit als Außenminister geleistet, aber ich habe mich entschieden, in die Bundesregierung einzutreten und zwar als Außenminister." Da war es dann offensichtlich plötzlich ganz aus mit Rücksichtnahme, mit Einfühlungsvermögen und mit der so oft beschworenden "Politikerfreundschaft" (sofern man den Begriff "Freund" hier dann doch als qualitative Gestaltungsaufgabe begreifen möchte ...).
Gabriel, sicherlich beides, gekränkt und enttäuscht, reagierte dann auch dementsprechend und wenig souverän: "Ich habe das Amt des Außenministers gern und in den Augen der Bevölkerung offenbar auch ganz gut und erfolgreich gemacht. Und da ist es ja klar, dass ich bedauere, dass diese öffentliche Wertschätzung meiner Arbeit der neuen SPD-Führung herzlich egal war." (gegenüber den Funke-Medien) Von einer Fähigkeit zu einem Diskurs zeugt es meines Erachtens auch nicht, daß Gabriel für seine Enttäuschung in diesem Zusammenhang auch noch die eigene Tochter funktionalisierte: "Meine kleine Tochter Marie hat mir heute früh gesagt: 'Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht." (so gegenüber der Funke Mediengruppe). Zugleich sagte Gabriel unmittelbar alle öffentlichen Auftritte als Außenminister ab und zog sich nach Goslar zurück, selbst die Teilnahme an den Konferenzen zum Kampf gegen den IS, einer der EU sowie der Münchner Sicherheitskonferenz hatte er zunächst abgesagt. Ein für einen Repräsentanten des Volkes eigentlich -- bei allem Verständnis für persönliche Kränkungsgefühle -- untragbare Reaktionsweise. Da hilft es dann im Nachhinein auch wenig, daß Gabriel sich für die Funktionalisierung seiner Tochter in dieser Auseinandersetzung später -- auch bei Martin Schulz! -- entschuldigte und seine Termine doch noch wahr nahm.

Eines dürfte unbestritten sein: es ist schon auch eine Art Ironie des Schicksals, daß Gabriels (zumindest zu jenem Zeitpunkt so zu diagnostizierende) politische Demontage gerade von jenem Mann betrieben und verwirklicht wurde, den er vor Jahresfrist noch in den politischen Spitzensattel gehievt hatte. Auch hatte er ihn ja immer wieder als seinen Freund bezeichnet, dies aber auch ein vice-versa-Gehabe.... In der BILD-Zeitung wurde das alles wie folgt kommentiert: "Männer, die für ihre persönlichen Machtkämpfe ihre Tochter benutzen -- das ist der Zustand unserer politischen Elite in Deutschland. Erbärmlich." Ja, wo BILD recht hat, da hat sie eben auch mal recht ...

Wie ich überhaupt meine, daß man Gabriel wie auch so viele andere Politker und Politikerinnen maßlos überschätzt hat. Mittelmäßigkeit wird nicht qualitativ besser wenn ihr allzu große und häufige Aufmerksamkeit in den Medien zugeschanzt wird, vor allem auch dann, wenn dies auf einer Much-ado-about-nothing-Ebene erfolgt (fairerweise solle jedoch hier das "nothing" in manchen Fällen dann durch "little" ersetzt, Shakespeares Original insofern gemildert werden).
Gabriel hat nämlich auch vor seinem Wechsel ins Außenministerium damit argumentiert, sein partieller Rückzug von der politischen Arbeit und die Übergabe der entsprechenden Verantwortung an Schulz brächten ihm auch "mehr Zeit für die Familie"; eine sicherlich lobenswerte Zielsetzung, aber ist die durch die Übernahme des Außenministeriums zu erreichen? Wohl kaum, dieser Wechsel in jener Hinsicht gewiß kontraproduktiv! Was sich hier zeigt: Nicht nur Schulz hat mehrfach seine Aussagen sozusagen "out of the blue" geändert, auch unter den Zwängen in Teilbereichen (i.e., dann doch Verzicht auf Außenministerposten und Parteivorsitz!) ändern müssen, aber auch Gabriel erscheint mir nicht gerade allzu stimmig, wenn es um Nachhaltigkeit und einem den Bürgern gegenüber verantwortbare Konsequenz geht. Wozu das in der Öffentlichkeit führt? Natürlich zu Glaubwürdigkeitsverlust, natürlich zu Skepsis gegenüber Politik im allgemeinen, gewiß auch zu einer Abkehr -- diese dann in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen!

Wenn man wirklich der Politik, ihren Vertretern und Vertreterinnen wieder mehr Vertrauen verschaffen möchte, dann sind Verhaltensweisen wie die von Martin Schulz und Sigmar Gabriel nicht hilfreich (um es gelinde auszudrücken!), dient all das Geschachere im Kontext der GroKo wirklich nicht zur Minderung von Politikverdrossenheit.

Was das Land braucht ist mehr Ehrlichkeit, mehr Stimmigkeit, kein Beleidigtes-Leberwurst-Getue (wissenschaflticher ausgedrückt: weniger Narzißmus zugunsten der ernsthaften Sache und notwendigen Lösungsstrategien), aber auch jeweils die entsprechende Sachkompetenz zur Bewältigung anstehender Problemlagen.

Ohne daß ich unbedingt ein Anhänger der FDP bin, muß ich sagen, daß Christian Lindner und Wolfgang Kubicki hier wirklich positive Signale in Richtung Verläßlichkeit, Verantwortung und Konsequenz gesetzt haben! An jenen sollte man sich ein Beispiel nehmen. Wie dämlich der Aufschrei vieler (wohl hier im Denken Zukurzgekommenen) gegenüber Lindners Feststellung, wonach man besser nicht als schlecht regiere!

Nein: es ist richtig -- besser nicht regieren als faule Kompromisse einzugehen, als der Verhinderung von Politikwechsel Vorschub zu leisten!

Wenn es nicht so traurig wäre, wenn es nicht um die Interessen des Landes ginge, könnte man ja dem Gezetere in der SPD (aber auch in der CDU/CSU und in der AfD) den Genuß abgewinnen können wie ihn unterdurchschnittliches Kabarett immer wieder liefert. Hat Gabriels zumindest teilweise Kinderei (zumindest erscheint es mir so!) nun vielleicht auch dazu geführt, es der mit stellenweise ebenfalls durch kindhafte Parlamentsbelustigung (man erinnere sich nur an den "Parlamentsbeitrag" mit ihrem scheußlichen und nicht sachbezogenen Gesang in Astrid-Lindgren-Anlehnung, auch an ihr nicht gerade an Intelligenz und Ernsthaftigkeit erinnernden "Bätschi"-Ausbruch und an ihre Aussage "ein bisschen wehmütig -- und ab morgen kriegen sie in die Fresse!") aufgefallenen Andrea Nahles leichter zu machen, ihn endgültig auszubooten? Eine durchaus plausible Annahme, denn beide sind sich bekanntlich ja nicht besonders grün ...
Und was Frau Nahles angeht, da darf ruhig auch daran erinnert werden, daß sie zudem nicht gerade mit einer zügigen Berufsbiographie (was bestimmt für viele Bürger ebenfalls ein Kriterium für Zu- oder Ablehnung sein dürfte ...) aufwartet. Wollen die Bürger wirklich Volksvertreter und Volksvertreterinnen, die in mancherlei Hinsicht allzu wenig beispielgebend sind? Wollen wir unsere Geschicke nicht viel lieber solchen Menschen anvertrauen, die statt billiger Rhetorik und fragwürdigen Selbstdarstellungsinszenierungen (Stichwort hier auch u.a.: unsägliche Auftritte in Talkshows, entlarvend, entlarvend, entlarvend ...) sich durch eine hervorragende Sach- und Fach- sowie Verhaltenskompetenz auszeichnen? Ich hoffe, diese Frage beantwortet sich von selbst -- dies in einem positiven Sinne!

Wer so den Umgang vieler Politiker / Politikerinnen untereinander beobachtet, wer ihre Angriffe auf politische Mitbewerber zur Kenntnis nimmt, wer ihren Umgang mit Problemen untersucht, kommt nicht umhin festzustellen, daß dort doch eine allzu große Anzahl in sprichwörtlichen Glashäusern sitzt und demzufolge tunlichst nicht mit Steinen werfen sollte!

Blicken wir doch noch einmal etwas zurück, zu jener Phase, wo Schulz und Gabriel sich noch "Freunde" nannten ... Es war im Januar 2017 als sich Parteichef Sigmar Gabriel anbot, für Martin Schulz auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur zu verzichten und dafür das Außenministerium zu übernehmen. (Frank-Walter Steinmeier, ehemaliger Außenminister, wurde bekanntlich zum Bundespräsidenten gewählt.) Und wie hatte sich Gabriel in der Zeitschrift Stern über seine Neuorientierung geäußert: "Ich stehe -- ob mir das nun gefällt oder nicht -- für die große Koalition mit CDU und CSU. Martin Schulz dagegen steht für einen Neuanfang." Es mag durchaus auch sein, daß Gabriel für sich ein hohes Maß an Aussichtslosigkeit ausgemacht hatte und diese ihm seinen Schritt erleichterte bzw. nahelegte. Er sah wohl ein, daß er gegen Angela Merkel die Wahl nicht gewinnen könnte, der Zuspruch zur SPD war alles andere als berauschend (damals ca. 20% laut Umfragen) und seine vielen Alleingänge und auch die stellenweise Sprunghaftigkeit gingen selbst in den eigenen Reihen so manchem auf die Nerven. Beliebter hat es ihn jedenfalls kaum gemacht!
Wahrscheinlich erschien Gabriel seine politische Überlebenschance als Außenminister als sicherer an. Warum Gabriel Schulz bei dessen plötzlichen (aber auch überraschenden?) Ambitionen auf das Außenministerium dann "Wortbruch" vorgeworfen hatte bzw. mit Recht vorwerfen durfte, kann nur vermutet werden. Eindeutige Belege für einen einschlägigen "Wortbruch" konnte ich bislang nicht finden.

Fast schon wieder sensationell (allerdings nur für jene, denen der Hintergrund all jener Umfragenhysterien verborgen geblieben ist!) dann Gabriels phönixhafter Aufstieg in der Beliebtheitsskala, nachdem er als Außenminister tätig geworden war. Vielleicht hat dazu auch beigetragen, daß Gabriel den Wahlkampf von Schulz mit immer neuen Vorschlägen und Ideen beeinträchtigt hat, beeinträchtigt deshalb, weil es galt, gegen die Merkelsche CDU an einem Strang zu ziehen. Als dann die angeblich ernsthaft anvisierte Jamaika-Koalitionsgespräche platzten -- da wird fälschlicherweise in billiger Verdrehung der Tatsachen die Schuld Christian Lindner und der FDP in die Schuhe geschoben; jene hatten sich eben nicht über den Tisch ziehen lassen wollen, jene war die Jagd nach Posten offensichtlich nicht wichtiger als eine für das Land gute Politik machen und einen Politikwechsel durchsetzen zu wollen! -- sah Gabriel wohl eine neue Chance für sich. Immerhin wußte er um Schulzens Absage an eine GroKo und vertraute auf dessen Konsequenz. Warum auch immer. Aber er scheint mit dieser Hoffnung zumindest in Teilen richtig gelegen zu haben. Es darf auch erwartet werden, daß ihm seine SPD den Bumerang-Effekt (die Genossinnen und Genossen waren ja verärgert ob der Funktionalisierung der kleinen Tochter für Politikzwecke) nicht lange nachtragen wird. Schließlich hat sich die SPD in Kehrtwendungs-Strategien gerade in letzter Zeit sehr gut eingeübt und dargestellt. Kann gut sein, daß die neuen Hoffnungsträger, Andrea Nahles und Olaf Scholz, hier gute Miene zum bösen Spiel machen werden und Sigmar Gabriel zusammen mit Angela Merkel in einer künftigen GroKo weiter seine politischen Kreise ziehen darf. Während ich dies alles schreibe, läuft der Mitgliederentscheid der SPD und ich gehe mal davon aus, daß letzten Endes eine Zustimmung zur "Großen Koalition" (wie "groß" ist "groß" denn eigentlich?!) das Ergebnis sein wird. Das Ergebnis wird sein: Weiter so. Die Posten sind gerettet. Angela Merkel bleibt weiter auf ihrem Sessel (was mir persönlich als ihr Hauptziel dünkt!) und die Politikverdrossenheit wird weiter zunehmen. Wie sollte es dann unter all dem alten Personal auch anders verlaufen, selbst wenn ein paar "Verjüngungs-Alibis gezeigt werden sollten! Von Jens Spahn einmal abgesehen, scheint mir bei den "Jungen" (nochmalige Frage: wie "jung" ist "jung" eigentlich?!) niemand mit der erforderlichen Qualität zu sein, der oder die auch Chancen für einen Politikwechsel erhalten dürfte. Leider werden all die etablierten Platzhirsche und deren weiblichen Pendants weiterhin die Entscheidungen nach ihrem Gutdünken treffen.

Sollte man mit Martin Schulz nun Mitleid haben? Aus meiner Sicht ein ganz klares: Nein! Schulz hat sich selbst maßlos überschätzt und leider hat ihn eine leicht zu euphorisierende Öffentlichkeit hierzu ein weiteres Fundament geliefert, dies kräftig unterstützt von fast allen Medien, die endlich wieder ihre Sensation für mögliche Auflagensteigerungen und Erhöhung der Einschaltquoten schüren konnten. Den Vorwurf muß ich hier den meisten Medien machen: Das ging weit über sachliche Aufklärung hinaus, da wurde hochgelobt ohne gründliche Prüfung, ob dafür auch die Substanz gegeben ist. Daß dies stets ein für die unmittelbar Betroffenen ein recht kurzlebiger Aspekt ist, hat Schulz natürlich nun auch ziemlich schmerzlich erfahren (müssen). The higher the top, the bigger the drop! Bekannterweise ist die Politik kein Streichelzoo und Schulz -- jahrelang im Geschäft, sich dieser Tatsache oft auch selbst öffentlich wirksam rühmend! -- hat wissen müssen, worauf er sich da einläßt. Mir persönlich war von Anfang an klar, daß Schulz nicht die Qualitäten hat, für die er derart hochgelobt wurde und auch sich selbst nicht gerade unbescheiden gebrüstet hat. Er war letztlich nur eines: der falsche Mann am falschen Platz, dies sicherlich nicht nur zur falschen Zeit! Wer sich so verkennt, wer so verblendet ist, wer die Realität so zu leugnen versucht, der trägt selbst Schuld an einem Aufstieg und Fall, wie er hier fast tragödienhaft zu erkennen war und ist. Da ist Mitleid fehl am Platze. Und eines dürfte dem normal hart arbeitenden Bürger, der normal hart arbeitenden Bürgerin, auch klar sein: Von eventuellen möglichen narzißtischen Kränkungen und deren Folgen einmal abgesehen, dürfte der Fall des Martin Schulz, materiell betrachtet, trotz allem ein weicher sein. Und -- wetten!? -- er wird schon wieder seinen Platz finden bzw. untergebracht werden. Beispiele hierfür begegnen uns ja seit Jahren immer wieder ...





III

Gedanken zu "me-too" und Sexismus


Wie ehrlich ist die Sexismus-Debatte denn eigentlich?

Teil 1

Sehr kontrovers wird diskutiert, was durch den Hashtag#MeToo in die breite Öffentlichkeit getragen wurde: sexuelle Belästigung. Unbestritten sollte und dürfte es sein: sexueller Mißbrauch und sexuelle Gewalt sind nicht nur strafrechtlich relevant sondern dürfen in einer Gesellschaft, für die das Selbstbestimmungsrecht der Person sinnstiftend ist, keinerlei Platz haben. Wie bekannt, bekannten und bekennen nun immer mehr Frauen, sexuell mißbraucht worden zu sein. Ausgangssituation waren einschlägige Bekenntnisse weniger, in deren Folge immer mehr Vorwürfe an die Öffentlichkeiten kamen. Wir kennen dieses Phänomen auch von anderen Sachverhalten:  zunächst kommen nur vereinzelte Meldungen auf, dann werden es immer mehr. Es läßt sich dabei nicht immer unterscheiden, inwieweit die Vorwürfe eine solide Basis haben und inwiefern sie nur auf einer vorgetäuschten Beschreibung beruhen.

Tatsache ist jedenfalls: Für sexuellen Mißbrauch gibt es die Sanktionsmacht des Strafrechts und diese gilt es zutreffenden Fällen auszuschöpfen.

Was die Kampagne gegen sexuellen Mißbrauch angeht, in der viele Register und Aufmerksamkeitsmethodik festzustellen sind, hat diese -- wenig verwunderlich -- mehr oder weniger unverzüglich auch zu Gegenbewegungen geführt. Dies nicht, weil die Kritiker und Kritikerinnen die Tatsache der Existenz von sexuellen Mißbrauch bestreiten wollten, sondern weil hier vielfach über das eigentliche Ziel hinausgeschossen wurde und wird.

Man mag ja darüber streiten, inwieweit Aktionen wie beispielsweise das gemeinsame Auftreten in schwarzer Kleidung (so z.B. beim Golden Globe) tatsächliche, wirksame und ehrliche Solidarität darstellen oder inwieweit sie im schlimmsten Fall "nur" unreflektiertes Mitläufertum signalisieren. Durchaus möglich, daß auch hier wieder auch jener Typus vorzufinden ist, der sich damit allenfalls in Szene setzen möchte, der um Aufmerksamkeit heischt, weil sonst diese zu wenig zuteil wird.

Welch ein Aufschrei als Catherine Deneuve und weitere Frauen als Gegenpol einer alles unter einem Sachverhalt, eben den der sexuellen Belästigung, subsumierenden Bewegung die "Freiheit zur Belästigung" forderten und sich offen gegen die #MeToo und ähnliche Kampagnen stellten. In einem offenen Brief, erschienen in der Zeitung "Le Monde", hatte Frau Deneuve zusammen mit rund 100 weiteren Frauen die "Denunziations-Kampagne" gegen Männer scharf kritisiert. So heißt es in dem Brief unter anderem "Vergewaltigung ist ein Verbrechen, aber eine beharrliche und ungeschickte Anmache ist nicht strafbar" und Bewegungen wie #MeToo, also das Verbreiten von subjektiven Erlebnissen auf Twitter etc., welche mit sexueller Belästigung zu tun haben, verfehlten ihren Zweck und würden nur Moralaposteln und religiösen Extremisten in die Hände spielen. Die Hauptaussage des Briefes: die Freiheit zu belästigen ist unerlässlich für die sexuelle Freiheit.

Ehe man sich nun über diesen Tenor empört, sollte man sich schon fragen, wie sich ein Näherkommen überhaupt realisieren soll, wenn bei jedem die Körperlichkeit betreffenden Blick. Kommentar oder bei (harmlosen) Berührungsversuchen bereits eine Beeinträchtigung der (sexuellen) Selbstbestimmung unterstellt bzw. behauptet wird! Nein, es ist sicherlich falsch, Deneuve und ihren Mitstreiterinnen wie Catherine Millet und Brigitte Lahaie unterstellen zu wollen, sie würden sexuellen Mißbrauch verharmlosen. Genau das tun sie m.E. nicht, sondern sie unterscheiden eindeutig eben zwischen strafrechtlich relevanten Tatbständen und der Vielfalt möglicher und natürlicher Annäherungsversuche zwischen den Geschlechtern. In einer der zahlreichen Talkrunden, die dazu auch im deutschen Fernsehen stattfand, sagte eine Frau, sie möchte eben nicht bei jeder versuchten Annäherung im Vorfeld fragen müssen, ob dies und das nun gewünscht oder erlaubt sei und sie möchte auch nicht immer gefragt werden. Es geht letztlich darum: die Dinge sich einvernehmlich entwickeln lassen. Und dafür sollten bei normalen Menschen das Gespür, das Gefühl, ja: auch das Lustempfinden, die normale Basis für ein Miteinander sein.

Man stelle sich das einmal vor: Soll es nicht mehr möglich sein, einer Frau, einem Mann, sagen zu dürfen, dies und das finde ich an ihm, an ihr gut, schön, reizvoll? Soll es nicht mehr möglich sein, erotische Anziehung und Ausstrahlung positive erwähnen zu  dürfen, ohne vorher um Erlaubnis dazu gefragt zu haben? Wie sollte das denn funktionieren!? Es ist doch eine Prüderie, wenn man bereits bei eigentlich harmlosen Bemerkungen bereits eine Sexualangriffskatastrophe im eigen Gehirn konstruiert. Dahinter verbirgt sich eher ein tiefenpsychologisches Dilemma denn eine objektivierbare Bewertung über Übergriffigkeit. Der Verdacht, daß sich häufig unter den sich für das sexuelle Selbstbestimmungsrecht geradezu kriegerisch vehement einsetzende Personen solche befinden, die eher damit zu rechnen haben, einschlägig überhaupt nicht "belästigt" zu werden, mag sich da bisweilen durchaus aufdrängen ...
Nun, dieser Aspekt trifft bei den Briefunerzeichnerinnen offensichtlich und augenscheinlich nicht zu! Vielleicht können sie gerade deshalb souveräner mit Sexualität und den dazu affinen Bereichen und  Möglichkeiten umgehen. Vielleicht haben sie diesbezüglich keinerlei Verdrängungsprobleme zu bewältigen.

Kann es denn Sinn des Zusammenlebens sein, wenn -- wie in den USA immer häufiger -- Männer mit einer Frau nicht mehr allein in einem Büro oder in einem Aufzug sein wollen, sein können, weil stets mit der Gefahr möglicher Vorhaltungen hinsichtich sexuellen Übergriffes zu rechnen ist. Soll bereits der Blick auf einen schönen  Busen oder einen wohlfeilen Po eine Entrüstungswelle in Bewegung setzen? Und wie steht es dann um (früher sicherlich als harmlos gesehene) Komplimente, z.B. daß einer ein Kleid gut steht, daß sie eine gute Figur hat, daß sie sexy sei u.a.m.? Bereits übergriffig oder gar strafrechtlich gebotene Sanktionsrecherchen? Ist doch lächerlich, aber schlimmer: es führt zu einem sterilen Miteinander (oder faktisch gar: Gegeneinander) unter den Geschlechtern! Es soll ja auch noch Frauen geben, die in Bewunderungen und Komplimenten nicht gleich ihre ganze weibliche Selbstbestimmung gefährdet sehen, die das problemlos für sich wertschätzen können. Und die anderen? Nun, da sollte man sehr schnell die Grenzen spüren (bzw. jene sie spüren lassen), womit in aller Regel das Problem dann auch schon beseitigt sein dürfte ...

Es ist schon noch ein Unterschied, ob es sich um Belästigung oder gar strafrechtlich relevantes Tun handelt oder ob es schlicht und einfach das Bemühen um Annäherung ist, das zwischen Mann und Frau sowie vice versa abläuft. Wie soll den der andere, die andere, mitbekommen, ob mehr als Grußsympathien oder Begegnungszufälligkeiten vorhanden sind, wenn nicht durch das Überschreiten von Umgangsbanalität?! Und wenn dann ein Annäherungsversuch -- sei es verbal, sei es auch durch vorsichtiges Berühren -- als unangenehm oder gar als Belästigung empfunden wird, sollte es für eine auch nur halbwegs an ihrer Selbstbestimmg interessierten und um sie bemühte Person doch möglich sein, dies unmißverständlich kund zu tun. Und das ist dann aber auch von der Gegenseite zu akzeptieren! Sollte dies jedoch trotz der Deutlichkeit nicht akzeptiert werden, ist natürlich eine Grenzüberschreitung erfolgt, die somit auch entsprechend zu beantworten ist.

Es würde mich einmal sehr interessieren, wie all jene Aufschreiaktivistinnen sich Annäherungsmöglichkeiten genau vorstellen? Sollte es da einen Abfolgeplan à la Kochrezept geben, eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, am besten noch mit schriftlicher Etappenzulassung und unmittelbar darauf folgender Erlaubnisbestätigung?
Ist aber dann nicht vielleicht gar schon die erste Frage, der erste Blick ("Um Gottes Willen, der hat ganz geil auf meinen Busen geglotzt, dieser sexgeile, mich auf meinen Körper reduzierende Unhold!" so vielleicht eine -- aus welchen Gründen auch immer -- so Sensibilisierte ...) der Auslöser für eine als solche derart definierte Katastrophe?! Für erneute Empörung? Für die sofortige Suche nach einer Solidaritätsphalanx?

O Gott, wie naiv das alles anmutet, vor allem: wie hilflos und maschinenhaft!

Haben wir hier schon eine Vorstufe zur eigenen Roboterhaftigkeit, das Weg von Spontaneität, von Suchverhalten? Oder sollte man ganz weg von körperhaftigkeit, Esprit, von Ausdruck, von Mimik und Gestik es lieber mal mit dem Lob -- eben um ja nicht einseitig auffällig zu wirken! -- der Kochkunst (Vorsicht! Schnell wird man da zum Frau-in-die Küche-Macho festgezurrt.) versuchen? Oder ist vielleicht ein Lob auf die Geisteskraft á la "Mensch-du-bist-ja-gescheiter-als-Einstein" (wäre natürlich in zahlreichen Fällen dann das Höchstmaß an Unehrlichkeit!) der geeignete Weg? Der Irrwege gäbe es wohl unzählige! Weshalb dann nicht einfach im doppelten Sinn des Begriffes bei der Natürlichkeit bleiben?!  Bei der Unverklemmtheit? Auch bei der Freude an geschlechtlicher Unterschiedlichkeit? Beim Zeigen von -- ja die Aufschreierinnen mögen es an dieser Stelle verzeihen bzw. sie haben es einfach zu akzeptieren! -- Lustgefühlen, von Bedürfnissen?

Diesen feinen Unterschied (Gott sei Dank sicherlich für viele Frauen nach wie vor selbstverständlich!) dürften Catherine Deneuve und Co wohl im Sinne gehabt haben, als sie ihre Kritik vorbrachten. Gleichwohl war der Aufschrei gegen jene dann wiederum genauso groß wie unsachlich (vielleicht auch mangels Fähigkeit, den Kern der Sache zu begreifen!), aber immerhin so vehement, daß sich Deneuve zu einer Klarstellung (dies in Form einer eigentlich unnötigen Entschuldigung, weil ohne zwingenden Anlaß!) genötigt sah: "Ich grüße alle Opfer dieser verabscheuungswürdigen Taten, die sich durch den Artikel in 'Le Monde' beleidigt fühlen, ihnen und ihnen allein biete ich meine Entschuldigung an." Sie hat -- wohl weil die andere Seite nicht begriffen hat bzw. nicht begreifen konnte, worum es tatsächlich gegangen ist, nämlich keineswegs um ein Gutheißen von sexueller Gewalt und sexueller Belästigung -- ihre Aussage nochmals klargestellt und betont, daß ihr ursprünglicher Beitrag "nicht enthält, dass Belästigung gut ist, sonst hätte ich den Text nicht unterschrieben." Das sollte eigentlich an Klarheit denjenigen genügen, die etwas länger zum erkennen und begreifen benötigen. (Aber ich bezweifle, daß man im keifenden Zustande um im Status hochgeschraubter Empörung entsprechend klar denken und erkennen kann.)

Vielleicht, mit teilweiser Wiederholung, nochmals zur Klarstellung: Die Gegenposition zur #MeToo-Debatte kritisierte eine "Kampagne der Denunziation", warnt(e) vor einem "Klima einer totalitären Gesellschaft", betonte aber zugleich, daß es notwendig gewesen sei, ein Bewußtsein für sexuelle Gewalt (sic!) gegen Frauen zu schaffen, verteidigte zugleich jedoch auch "eine Freiheit, jemandem lästig zu werden, die für die sexuelle Freiheit unerlässlich ist". Mir persönlich unerklärlich, wie man diese Aussagen mißverstehen kann; psychologisch erklärbar sind derartige Fehlinterpretationen jedoch durchaus.

Unterstützung kam auch von weiterer prominenter Seite, nämlich von Brigitte Bardot; sie bezeichnete die Beschwerden ihrer Kolleginnen über sexuelle Belästigung als "scheinheilig" und sagte: "Was Schauspielerinnen angeht, und nicht Frauen im Allgemeinen, ist das in der großen Mehrheit der Fälle scheinheilig, lächerlich, uninteressant." (so in "Paris Match") Sie meinte, viele Schauspielerinnen gäben sich gegenüber Produzenten als "Anmacherinnen", um eine Rolle zu bekommen und fährt fort: "Danach erzählen sie, dass sie belästigt wurden, damit man von ihnen redet. In Wirklichkeit schadet ihnen das statt ihnen zu nützen." (ebd.) Brigitte Bardot, sicherlich mehr als unverdächtig mangelnder Ausstrahlung und Reize sowie fehlender Begehrlichkeit, betont für sich, sie selbst sei in ihrer Karriere als Schauspielerin niemals Opfer sexueller Belästigung geworden und weiter: "Und ich fand es charmant, dass man mir sagt, dass ich schön bin oder einen netten kleinen Hintern habe. Diese Art von Kompliment ist angenehm." Gut, daß sie es so empfinden kann / konnte; offensichtlich gibt es aber einige, welche nicht auf ihr Äußeres angesprochen werden wollen ...

Auch Heike Makatsch sieht die MeToo-Debatte über sexuelle Belästigung von Frauen als "aufgeheizt" an und spricht in diesem Zusammenhang von "Meinungsdiktatur": "Es kommt mir so vor, dass gerade jeder differenziertere Gedanke zum Thema, der vielleicht auch mal eine Ambivalenz benennt oder sogar eine Lanze bricht für die Gegenseite, so an den Pranger gestellt wird, dass es fast schon etwas von einer Meinungsdiktatur hat." (SZ, 15.02.2018) Das Name-Dropping gehe an der eigentliche Problematik vorbei. Es geht doch darum, daß Frauen in jeder Lebenslage der gleiche Respekt entgegen gebracht werde wie Männern, also damit auch um das Verhindern des Ausnutzens von Machtverhältnissen. Es geht also um ein strukturelles Problem. Auf der anderen Seite muß man sehen, daß Leute wie Weinstein "nicht typisch oder stellvertretend für Männer in einer Machtposition (sind), sondern er ist, wie es aussieht, ein Serienvergewaltiger, ein Psychopath". (ebd.) Unstrittig ist natürlich, daß dies rechtlich entsprechend zu sanktionieren ist, aber die Lösung der Strukturproblematik dürfte auf einer anderen Ebene anzugehen sein. Makatsch meint, fast jede Frau habe die Erfahrung gemacht, "dass man anders wertgeschätzt wird als männliche Kollegen." (ebd.) Es gehe darum, daß Frauen in jeder Lebenslage der gleiche Respekt entgegen gebracht wird wie Männern, so Makatsch.

Womit sie m.E. richtig liegt. Es ist doch offensichtlich, daß es hier auch um die Erfüllung des Gleichheitsgrundsatzes geht; hierzu gehört dann aber auch, daß wesentlich Ungleiches nicht gleich, und wesentlich Gleiches nicht ungleich behandelt werden kann. (Anmerkung: ein gleicher Lohn bei gleicher Arbeit müßte beispielsweise demzufolge selbstverständlich sein, körperliche Bedürfnisse könnten biologisch bedingt jedoch durchaus unterschiedliche Bezüge aufweisen.)
Woraus sich sicherlich auch das Anerkennen und Wertschätzen biologischer Unterschiede entsprechend ableiten läßt, damit eben die entsprechende Wahrnehmung und mit ihr im Kontext eine jeweils passende Umgangsform und Verhaltensweise, sicherlich auch gegebenfalls nicht immer gleichförmige Ausdrucksformen -- sofern geboten -- von Begehrlichkeit (auf beiden Seiten, dann vielleicht mit unterschiedlicher Regung und Verbalisierung, gleichwohl beiderseits zielgerichtet -- eben, wenn gewünscht) ...

Ich wähle hier einmal zwei antagonistische idealtypische Positionen, um den Unsinn zu verdeutlichen: Wie blöde wäre es denn, wenn ein Mann wegen seiner Männlichkeit und der Feststellung derselben sich auf sein Mannsein reduziert fühlen würde! Und umgekehrt ist es doch genauso: Eine Frau, die sich auf ihr biologisch wohl eindeutiges Frausein reduziert fühlt, zeigt doch nur, daß sie mit ihrer biologischen Rolle im Unreinen ist, daß sie ihre Weiblichkeit entweder nicht annehmen kann oder es nicht möchte. Im letzteren Fall sollte sie sich allerdings besser von der Natur überzeugen lassen ...

Ich persönlich halte die Sexismus-Debatte wie sie von jenen geführt wird, die weder Vergewaltigung erlebt haben noch übergriffige Anmache erleiden mußten und von jenen, die nicht ausschließlich für diese Bereiche sich einsetzen, dann für pharisäerhaft, wenn jene sich anmaßen über Formen der Annäherung oder Verbalisierung ex cathedra sich echauffieren zu müssen, bei denen es unproblematisch sein sollte, in einem emanzipatorischen wenn gewünscht und notwendig die jeweils subjektiv angemessene Gegenwehr leisten zu können. Wir brauchen keine Gleichschaltung, gerade nicht auf dem Gebiet von Lust und Empfindung! Vielleicht sollten jene Geistes-Amazonen zunächst einmal tief in ihren eigenen Urgründen suchen, ob es da nicht etwas zu verbessern gibt ...

Ich habe jedenfalls noch nie irgendwelche Probleme mit Flirten, Annäherungen, natürlich bisweilen auch mit Ablehnungen, mit Nähe und Distanz, mit Komplimenten der unterschiedlichsten Art (natürlich auch im einen oder anderen Fall: mit Zurückweisung derselben, also mit Grenzziehung) in der Form gehabt, daß daraus sexuelle Übergriffigkeit, Reduktion auf Körperlichkeit, mangelnder Respekt u.s.w. konstruiert worden wäre. Vielleicht hatte ich ja auch das Glück, daß ich es da immer mit Frauen (früher: mit Mädchen) zu tun hatte, die sich in ihrer Geschlechterrolle einfach nur wohl fühlten und aus dieser heraus eine gesunde Emanzipation leben konnten ...


Teil 2

Wie merkwürdig (aus meiner Sicht möchte ich sagen: wie armselig und fast schon zum Fremdschämen verführend, "fast" nur deshalb, weil jene Urheber bzw. Urheberinnen das in der Tat dann wiederum wirklich nicht wert wären ...) die Sexismus-Debatte von Teilen geführt wird, zeigt meines Erachtens auch die Entrüstung über ein Gedicht des Schweizer Poeten Eugen Gomringer, er mittlerweile 91 Jahre alt, an der Fassade einer Berliner Hochschule. An diesem Gedicht läßt sich aus meiner Sicht gut aufzeigen, welche abstrusen Formen die Sexismus-Debatte bisweilen annehmen. Salopp könnte man es so formulieren: Mensch, habt ihr denn keine anderen Probleme ...

Auf der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf prangt seit 2011 in riesigen Buchstaben das Gedicht "Avenidas". Dieses wurde nun als "sexistisch" gewertet und soll entsprechend in der derzeit auffälligen Form entfernt werden. Der Asta der Hochschule beantragte die Entfernung des Gedichts und man wolle eine Umgestaltung der Fassade. Begründung: "Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen* ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind", so die Erklärung des Asta. Der Asta wolle damit jedoch nicht das Gesamtwerk Gomringer infrage stellen, bezweifle jedoch, daß sich dieses Gedicht "als Aushängeschild der Hochschule" eigne. Nun soll alle fünf Jahre an dieser Stelle ein neues Gedicht präsentiert werden. Gomringers "Avenidas" wird als kleine Tafel an einer weniger auffälligen Stelle, unten am Fuße der Wand, weiter zu sehen sein und es soll dort dann überwiegend an die Auseinandersetzungen um den Inhalt erinnern ...

Zunächst ein kleiner Blick zurück. Die Hochschule hatte 2011 Gomringer zusammen mit dem Haus der Poesie einen Poetikpreis verliehen. Als Dank dafür schenkte Gomringer der Hochschule jenes Gedicht.

Das Haus der Poesie reagierte über diese Reaktion der Hochschule entsetzt, zog sich nun aus der gemeinsamen Jury zurück und beendete die Zusammenarbeit mit der Hochschule. Die Jury trat nun auch geschlossen zurück. Christoph Hein, Ehrenpräsident des Pen-Zentrums Deutschland wütend: "Wirklich skandalös an diesem barbarischen Schwachsinn eines Asta ist: Die Alice Salomon Hochschule Berlin ist eine Fachhochschule mit den Schwerpunkten Erziehung und Bildung, d. h. diese Kulturstürmer werden einst den Nachwuchs ausbilden." Allenthalben ist auch von Zensur die Rede. (Vielleicht überschätzt man da die Machtsphäre jenes AStAs und jener Studenten, aber ein Versuch dazu ist es allemal.)

Schauen wir uns nun das Gedicht einmal näher an. Es ist auf Spanisch geschrieben, der Titel ist "Avenidas" (Alleen). Ich werde es hier in meiner deutschen Übersetzung darstellen, die Strophen bestehen aus jeweils zwei Zeilen, das Gedicht besteht ausschließlich aus Substantiva und der Konjunktion  "y" (= und), Verben fehlen gänzlich, was die Interpretation offener, also mehrdeutiger gelingen läßt.

Erste Strophe:   Alleen / Straßen und Blumen
Zweite Strophe: Blumen / Blumen und Frauen
Dritte Strophe:   Alleen / Straßen und Frauen
Vierte Strophe:  Alleen und Blumen und Frauen und / Ein Bewunderer

Unter dem Gedicht an der Fassade steht / nun genauer: stand noch: "eugen gomringer Alice Salomon Poetik Preis 2011"

Ist es denn wirklich nicht möglich, aus dem Gedicht die (höchstwahrscheinliche) Intention des Dichters herauszulesen, nämlich als Beobachter einer Szenerie die gesamte gesehene Schönheit nur als das zu empfinden, wie sie im Augenblick auf ihn wirkt: als Schönheit?! Die einzelnen Kombinationen als Beobachtungsrhythmus!?

Ist es wirklich so unmöglich, einfach die Seele des Dichters nachzuempfinden, die von dem ästhetischen Eindruck der Geschehnisse berührt wird, dann in dieser genialen Art zum dichterischen Ausdruck gelangt?! Es geht doch hier darum, den Schönheit des Augenblicks zu fühlen, zu erfassen und sie versuchen in Worte zu kleiden. Das Gedicht drückt doch eher die Beschaulichkeit des Erlebens aus, eine Beschaulichkeit, welche wohl den diversen Kritikern ind Kritikerinnen abzugehen scheint.

Wie kleinkariert dagegen die Wörter (von Worten mag ich hier nicht sprechen!) jener Kritiker! Wie dumpfbackig, so zumindest meine Einschätzung! Was ist da denn  in manchem Kopf und in so mancher Seele kaputt gegangen -- sowohl in eigener Entwicklung als auch im Wahrnehmungsvermögen?  Weshalb nicht sogleich der Widerspruch als das Gedicht auf die Fassade angebracht worden war? (Angeblich stieß der Gehalt des Gedichtes "den Studierenden" schon von Anfang an auf.) Nachdem vom Wortsinn sich da beim besten Willen (beim schlechten allerdings offensichtlich sehr wohl!) da nichts Anrüchiges, gar Frauen Diffamierendes oder Unterdrückungsversuche herauszulesen sind, frage ich mich schon: Wie armselig, wie verklemmt muß man denn sein, aus jenen Zeilen Sexismus, Unterdrückung bzw. Reduktion der Frau aufs Körperliche herauszulesen?

Ist es denn so schlimm, Frauen als Schönheit zu empfinden, diese Schönheit zu benennen, sie als "Bewunderer" zu erleben und das dann zuzugeben? Ist der Kontext zu all der vorstellbaren Farbenpracht der Blumen und zur Natur der Alleebäume wirklich auch nur im Entferntesten so negativ und mißliebig auslegbar? Mag ja sein, daß mit begrenzter Sichtweise und mangels eigener positiver Erfahrungen die im Gedicht gezeigte Welt all jenen verborgen ist, verborgen bleibt. Man kann nur hoffen -- dies auch im Sinne der Gesundheit einer Gesellschaft --, daß hier nicht ein Mehrheitsempfinden generiert wurde und wird ...

Gomringer als Frauenbelästiger?! Unangemessener, seltsamer und einfältiger geht's wohl nimmer! Wenn das Haus der Poesie hier von der "Vernichtung eines Kunstwerks" spricht, dann ist dies allenfalls als Gegenpol zu einer m.E. dümmlich akzentuierten Aufregung zu sehen. Derart kurzsichtiger Aktionismus kann kein Kunstwerk vernichten, dazu reicht die Substanz jener wohl wirklich nicht. Sie können natürlich -- wie ja die Erfahrung lehrt -- in ihrem Nahbereich entsprechend wüten, ein Kunstwerk auch entfernen, sie finden sicherlich auch außerhalb ihres eigenen Denkzirkels den einen oder die andere "Followers", aber Kunst gar vernichten ...? Na denn, dazu fehlt es doch an allen Ecken und Enden, möchte ich meinen. Gut, ignorieren kann man jene nicht, dazu sind sie doch zu laut, man sollte sie auch nicht ignorieren, sondern aufzeigen, wes Geistes Kind da und dort schon mal tätig ist. Auch solche Sicht- und Verhaltensweisen gehören augenscheinlich zu unserer Gesellschaft. Mich erinnert dieser Versuch einer Demontage schon eher an das übliche Unterhaltungsniveau, wie man es von seichter Medienberieselung kennt, ohne geistigen und emotionalen Tiefgang, aber mit dem trotzigen Versucht, wo nichts zu finden ist, dann doch noch etwas zu finden, und mag es noch so krude sein.

Nora Gomringer, die Tochter des Dichters und selbst Schriftstellerin, bringt diese Empörungsmaschinerie mit ihren Ausflüssen unaufgeregt auf den Punkt, nennt die Interpretation der Studierenden schlicht "falsch" und verweist darauf, daß der Bewunderer den Objekten (Alleen und Blumen), auch den Frauen, nicht gegenübergesetzt sei, denn schließlich stehe da immer ein "und" (= "y"). Waren die Kritiker denn nicht einmal fähig, ein poetisch derart sehr klares Strickmuster zu erkennen? Offensichtlich nicht. Oder sie wollten einfach nicht, was dann aber zu der Frage führen würde, was denn dann die Ursache für die Aufregung gewesen sein könnte. Vielleicht führt die Antwort darauf dann erneut zur individuellen Psyche, die sich in einem relativ kleinen Kreis (immerhin ist jene Hochschule alles andere als der Nabel der Welt!) auf ungute Weise kollektiviert hat. Ich glaube es zwar nicht, daß jene Kritiker dafür groß offen werden könnten, aber es wäre bestimmt zielführender und hilfreich, die Ansicht der Romanistin Barbara Vinken einmal zu überdenken: sie sieht die Frauen in dem Gedicht als allegorisch und die Schönheit selbst würde hier besungen.

Wer die weibliche Muse aus der Kunst entfernen wollte, hätte sehr schnell leere, zumindest weitgehend inhaltsleere Museen und Bücher. Zu Recht fragt die FAZ, ob denn Bewunderung herabsetzen könne! Natürlich kann sie es nicht, es sei denn, jemand würde wegen Dummheit oder anderer negativen Attribute "bewundert" ... Aber dieser Fragestellung können den entsprechenden "Feministinnen" immer etwas entgegen halten, nämlich ihre eigene begrenzte Sichtweise und ein dadurch funktionalisiertes Denken: die Bewunderung gelte, folgt man ihnen, nur dem Äußeren und nichts anderem, werde also tatsächlich als herabsetzend erlebt. Daß man bei einer ersten Betrachtung, die man durchaus als solche für sich bewerten darf, nicht sofort die Ganzheit (siehe oben die Anspielung auf Einsteins Geist etc.) erfaßt, sollte jedoch kein Geheimnis sein. Vielleicht entpuppen sich ja auch die Kritikerinnen, die so mancher erstmal als aus eigener Sicht vielleicht als durchgeknallte Truppe erlebt und entsprechend einordnet, als durchaus gescheite und liebenswerte, gar nicht so besessene und versessene Mitbürgerinnen, die einfach nur erst einmal richtig in ihrer Ganzheit wahrgenommen werden wollen ... Wäre ja durchaus möglich. (Aber es fällt natürlich schwerer, ex negativo zu einer positiveren Bewertung zu kommen als umgekehrt: wer einmal schon als liebenswürdig, als schön, eben:positiv im Beurteilunsschema eingereiht ist, dürfte es in aller Regel leichter haben, weitere gute Eigenschaften zu entfalten bzw. erfahrbar zu machen ...)

Frage: Sind nicht zumindest einige jener Studenten bzw. Studentinnen vom grassierenden Genderwahn befallen und fallen deshalb einem reduzierten Urteilsvermögen anheim? Indizien hierfür findet man m.E. durch die negative Bewertung des Gedichtes sehr wohl. Man könnte durchaus auch vermuten, daß hier eine ohnehin verankerte Neigung zur politischen Korrektheit exzessiv verstärkt wird, somit eine Einseitigkeit im Denken gepflegt wird, also genau das Gegenteil von Bemühen um Diskursfähigkeit praktiziert wird. Was einem, aus welchen Gründen auch immer, nicht in den (eigenen) Geisteskram paßt, kann man doch nicht einfach wegzensieren!


Und selbst wenn man der Neigung erliegt, das Verhältnis der Darstellung von Mann und Frau in einer Subjekt-Objekt-Dimension zu vereinfachen (bzw. in der Realität vielleicht als gängige Praxis so zu empfinden), ist die Frage zu stellen, was denn in einem Fall wie dem vorliegenden so abgrundtief schlecht daran sein sollte, den Mann als "handelndes" Subjekt (dessen "Handeln" freilich nicht über reines Beobachten hinaus reicht, hier eher sogar eine Form von Introspektion ausmacht) und die Frau als schönes Objekt zu sehen. In anderen Konstellationen ist es bestimmt auch schon einmal genau umgekehrt! Aber es soll ja auch Leute geben, denen beide Perspektiven gänzlich fremd sind, die sich ihrer eigenen jeweiligen Positionierung nie so ganz sicher sind und die in heteronomer Verworfenheit letztlich ihr überwiegendes Dasein fristen.

Man existiert nicht in einem luftleeren Raum, man existiert auch nicht in der Form ständiger Kasteiung von Gefühlen und Wahrnehmungsmodi, aber man existiert auch nicht in einem unhistorischen Rahmen. Insofern sollte man die Spielwiese menschlichen Erlebens, Bewertens, Empfindens nicht noch mehr einengen als sie ohnehin bereits immer armseliger wird. Etwas mehr an Spontaneität, etwas mehr an Toleranz, etwas mehr an Offenheit und etwas weniger an Minderwertigkeitsgefühlen wären sicherlich hilfreich. Es dürfte kein ergiebiger Lebensmodus sein, wenn man stets oder auch nur allzu häufig einen Ort sucht, den man dann als Sumpf definiert um dort dann in ihm zu gründeln, ob man nicht doch noch ein Ärgernis findet, um sich dann groß empören zu können, dies als Ausgleich dafür weil das sonstige Leben zu wenig einem bietet ... Etwas mehr Bescheidenheit um die eigene Wichtigkeit wäre durchaus bei so vielen Aufschreiern angemessen; wenn ich in diesem Zusammenhang betone, daß zuallerest entscheidend ist, daß man für sich selbst wichtig ist, dann bekenne ich mich uneingeschränkt zu dieser Aussage (die übrigens überhaupt nichts mit Egoismus zu tun hat, sondern gerade vor dem Hintergrund der daraus resultierenden Kraft sehr wohl Altruismus und soziale Offenheit zuläßt!), bin mir aber auch klar darüber, daß es dann wieder "Feministinnen" (die Anführungszeichen sind ganz bewußt gesetzt ...) gibt, die nun aufheulen, weil sie sich auf sich selbst reduziert fühlen ...

Zwischenüberlegung: Es gibt Feministinnen (Gott sei Dank!) und "Feministinnen" (wohl die Mehrheit und keine Bereicherung im Geschehen sozialer Fortentwicklung ...). Hier bleibt zu fragen, ob nicht doch jene, die allzu einseitig, radikal und auch weltfremd auf der Genderwelle reiten, der Emanzipation nicht einen Bärendienst erweisen, anders gewendet: faktisch kontraproduktiv wirken und einer guten Sache letztlich im Wege stehen.

Barbara Vinken (s.o.) wirft noch einen anderen Gedanken auf, wenn Männer weibliche Schönheit betrachten: wenn sie Frauen wie Blumen genießen hätten sie einen "Assoziationshof" weit jenseits bloßer Schönheit; die Blume der Frau liege traditionell zwischen den Beinen, von "Defloration" (flora = die Blume) sei nicht von ungefähr die Rede und dann verweist sie noch auf Goethes Gedicht "Heideröslein" und den Knaben der es stehen sieht und gegen dessen Willen bricht. Warum nun plötzlich diese leichte Abkehr von der oben aufgezeigten "harmlosen" allegorischen Wirkung? Aber auch darüber sollte ganz normal und unaufgeregt diskutiert werden können, ohne sogleich in eine Art von Hysterie oder auch nur in Unterdrückungsgefühle einzutauchen. Vieles ist einfach schlicht nur Natur und als solche durchaus auch respektabel, bewundernswert und eben -- natürlich, nicht wahr?!

Erinnert denn Gomringers Gedicht tatsächlich "zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* (das Sternchen natürlich so im Original ...) alltäglich ausgesetzt sind? Erinnert es denn wirklich "daran, dass wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches 'Frau*-Sein' bewundert zu werden? Und wie ist es qualitativ, aber auch quantitativ zu sehen, wenn der AStA im Sommer (so auch die vorgenannten Zitate) davon spricht, es handele sich um "eine Bewunderung, die häufig unangenehm ist, die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt"?

Stellt das Gedicht tatsächlich "thematisch nicht viel anderes in den Fokus (...) als den omnipräsenten objektivierenden Blich auf Weiblichkeit"? Es mag ja zutreffend sein, daß die U-Bahn-Station Hellersdorf (also der Bezirk in dem sich jene Hochschule befindet) sowie der Alice-Salomon-Platz "vor allem zu späterer Stunde sehr männlich dominierte Orte, an denen Frauen* sich nicht immer wohl fühlen können", sind. Wenn es dann aber gleich weiter heißt "Dieses Gedicht dabei anzuschauen wirkt wie eine Farce und einer Erinnerung daran, dass objektivierende und potentielle übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können", darf die Frage schon erlaubt sein, ob man hier nicht allzu sehr einer gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit erlegen ist.

Jedenfalls trägt das Gedicht nicht zu dem bei, was hier unterstellt wird! Es sei denn, man findet -- aus welchen Motiven heraus auch immer -- Gefallen an dieser gänzlich an den Haaren herbeigezogenen Interpretation. Natürlich kann nicht verhindert werden, daß irgendjemand immer irgendetwas sieht, in Dinge hinein heimst, aber ob das dann sogleich die Norm sein muß? Kann das nicht auch pathologische Züge annehmen? Die Forderung nach Beseitigung des Gedichtes wurde dann noch folgendermaßen unterlegt: "Unsere Forderungen stellen wir nicht nur als Frauen*, sondern vor allem auch als Studierende einer 'Hochschule mit emanzipatorischen Anspruch'." Welche Emanzipation denn? Wenn hier Emanzipation im Sinne von Frauenemanzipation verstanden werden soll, dann mag der Begriff hier handlungsleitend wirken, soll damit jedoch ein weiter gefaßter Aspekt, nämlich den der Befreiung aus eigener, gar selbst verschuldeter Unmündigkeit gemeint sein, dann dürften die hier vorgebrachten Argumente gerade diesem Ziel nicht zuarbeiten helfen. Auch sollte stets bedacht werden, daß ein Zugewinn an Freiheit und Gleichheit, ein Befreien von Fesseln überkommender Tradition wohl kaum durch Einseitigkeit zu erreichen ist, vor allem nicht wenn man hier einseitig die Befindlichkeit von Frauen mit Sanfthandschuhen bis hin zu haltlosen Übertreibungen behandelt, den männlichen Gegenpart von möglicher Partnerschaft, Liebe und beiderseitigem Lustgewinn jedoch nur aus der Verortung als Ausbeuter und einer verallgemeinernden paternalistischen Struktur angehörig definiert. Hilfreich, sofern man an wirklichen Verbesserungen interessiert ist, dürfte diese Vorgehensweise keineswegs sein, das sollte einleuchten.

Ich denke, die Zeitung Die Welt hat es schlußendlich auf den Punkt gebracht, wenn sie zu den Vorgängen schreibt: "Eine andere, auch mögliche Lesart war und ist immer noch: „avenidas“ ist ein völlig harmloses Gedicht, das Alleen, Blumen und Frauen Bewunderung zollt. Jede Lesart ist immer nur eine mögliche Lesart unter vielen, aber die Sexismus-Lesart wollte es sein – und durfte es sein. Denn der Senat der Alice-Salomon-Hochschule hat auf der Basis eines Online-Votings der Hochschulangehörigen entschieden, dieses Gedicht entfernen zu lassen. Der Senat hat, sagen wir es frank und frei, lieber kapituliert, als weiter unangenehme Krisen-Publicity und den Furor der Vereindeutiger in Kauf zu nehmen. Denn hinter der Sexismus-Lesart stehen Aktivisten, die mit ihrer Militanz am Ende jeder Institution und am liebsten auch jedem Individuum vorschreiben wollen, wie man zu essen, gegen wen man zu protestieren und mit wem man nicht zu reden hat. Diese Leute haben seit Monaten eine Kampagne gegen Gomringers Gedicht und letztlich gegen die Kunstfreiheit geführt."

Ist diese Denk- und Lesart das Holz aus dem unsere zukünftige Sozialpädagogen und Sozialarbeiter geschnitzt sein werden? Vielleicht fehlt jenen aber auch -- gar als Folge einer mittlerweile weitgehenden  Verschulung von Ausbildungsgängen? -- auch das Wissen dafür, was Konkrete Poesie (Gomringer gilt als stilbildend für sie!) bedeutet, nämlich offenes Lesen, offenes Kunstwerk, also Abwesenheit von eindeutigen Zeichen. Der Sinn von Kunst ist vor allem auch, daß sie sich keiner gesellschaftlichen Ordnung beugt. Schon gar nicht, wenn derartige Disziplinierungsversuche absurd und lächerlich sind ...

Kein Problem hat dagegen die Heimatstadt Eugen Gomringers mit seinem Gedicht: Der Rat der oberfränkischen Stadt Rehau (Landkreis Hof) kündigte an, "Avenidas" an die Fassade des städtischen Museums schreiben zu lassen. Der dortige Bürgermeister Michael Abraham: "Ehrlich gesagt, hab' ich das für einen Witz gehalten." An Gomringers 93. Geburtstag war auch Abraham zugegen und meinte noch, Rehau würde schon eine neue Heimat finden für das Poem, wenn denen in Berlin tatsächlich nichts Besseres einfiele als harmlose Verse zu übertünchen. Freilich wußte der Bürgermeister da noch nicht, daß bereits 3 Tage später denen in Berlin tatsächlich nichts Besseres eingefallen war: Das Gedicht muß weg. Sexismus-Verdacht. In Bayern gibt es einen sicherlich hierzu gut passenden Spruch: O Herr, laß Hirn regnen ...


Teil 3

Auch wenn ich ihre Ausführungen nur sehr eingeschränkt teile (bzw. gerade deswegen, nämlich dann einfach zum Anregen von sachlicher Auseinandersetzung!), hier noch kurz ein paar Aspekte, die Gender-Forscherin Heike Mißler in der Rhein-Neckar-Zeitung (online am 31.01.2018) zum besten gab. Sie sieht die einfachste Definition von Sexismus im Gender-Swap, was bedeutet die Perspektive des anderen Geschlechts anzunehmen. "Nehmen Sie eine Situation, von der sie denken, es könnte Sexismus sein, zum Beispiel wen ihnen als Frau jemand auf der Straße hinterherpfeift. Wenn Sie denken, das würde ich umgekehrt bei einem Mann genauso machen, dann ist für Sie kein Fall von Sexismus. Wenn Sie aber sagen, er hat kein Recht dazu, das zu tun, dann wäre das für Sie ein Fall von Sexismus."

Anmerkung: Klingt zunächst ja gut, auch tolerant, ist aber in der Praxis allein schon deshalb nicht praktikabel, weil ich von meiner Haltung nicht auf andere Einstellungen, Haltungen und Tätigkeiten und umgekehrt schließen kann. Es handelt sich hier bei dem so genannten Gender-Swap leider nicht um "die einfachste Definition von Sexismus". Dazu sind Wünsche, Begehrlichkeiten, Toleranz, Erziehungseffekte u.a.m. einfach zu verschieden. Letztlich bleibt nur eine Legaldefinition übrig, will man auch nur irgendeine sinnvolle Abgrenzung finden.

Auf die Frage dann, ob Sexismus im Auge des Betrachters liege, meint sie, die Grenzen seien fließend. "Es ist nicht so, dass es keine grundsätzliche Definitionen gibt." Aber es komme schon darauf an, wie die Einzelnen mit bestimmten Situationen umgehen.

Anmerkungen: Stimmt! Zumindest was den Umgang Einzelner mit Situationen angeht. Stimmt nicht, daß es hierzu keine "grundsätzliche(n) Definitionen gibt, zumindest keine, die -- auch hier wieder von rechtlichen Setzungen abgesehen -- in der gesellschaftlichen Wirklichkeit ein brauchbares Maß an Praktikabilität ausweisen. Was letztlich bleibt: Achtung und Respekt vor dem anderen und ein doch recht breit gefächertes Experimentierfeld, um sich vielleicht doch näher kommen zu können, dies natürlich verbunden mit einer möglichen Abfuhr, die es dann zu respektieren und zu akzeptieren gilt. Am Rande vielleicht das leider immer schwammiger werdende: Gute Benehmen, gute Umgangsformen ...

Wie aber dann konfliktfrei miteinander umzugehen, wenn jeder Sexismus als etwas anderes betrachtet? Hierzu meint Heike Mißler, man solle Sexismus mit Respekt ersetzen, in erster Linie müssen man sein Gegenüber respektieren und "das ist zu einem gewissen Grand einfach eine Sache des gesunden Menschenverstandes."

Anmerkungen: Ja, so ist es, nur dürfte auch der viel beschworene gesunde Menschenverstand bei Radikalen auf welcher Seite auch immer, überwiegend auf der Strecke sein. (Hierzu unten zum Schluß ein von mir -- zugegeben etwas weniger rücksichtsvolles -- Erlebnis aus früherer Zeit.)

Zu der Entfernung des Gomringer-Gedichtes meint sie, der hinter der Aktion stehende Grundgedanke stimme, aber der Ansatz sei falsch, denn durch die Überpinselung eines Gedichtes verschwinde ja nicht der Sexismus der Gesellschaft.

Anmerkungen: Die Ansicht teile ich nicht, insoweit behauptet wird, der Grundgedanke, der hinter der Aktion stehe, stimme. Dieses Gedicht gibt meines Erachtens den unterstellten Grundgedanken nicht her! Natürlich kann jeder in irgendein Gedicht hinein interpretieren, was beliebt bzw. was der jeweilige Geist oder die Interpretationslust hergibt. Aber das ist dann wohl bei weit hergeholten Interpretationen nicht dazu geeignet, von einem auch nur in Ansätzen verallgemeinerungsfähigen Grundgedanken, der radikale Aktionen als Konsequenz erlaubt, zu sprechen! Nein, Frau Mißler, der Grundgedanke, den sie sehen, den gibt das Gedicht nicht her, sofern man über eine extrem eng begrenzte Privatheit des Denkens hinausgeht. Richtig ist natürlich, daß durch eine Überpinselung von was auch immer (z.B. von nackten Abbildungen oder wirklich sexistisch-verbalen Inhalten der Sexismus in der Gesellschaft nicht verschwindet.

Auf die Frage, wie sexistisch denn das Gedicht "Avenidas" sein, meint sie, durch die Reihung schöne Straße - schöne Blume - schöne Frauen werde die Frau zum Objekt degradiert. Eine andere Frage sei es, "ob es das wert ist, sich an der Entfernung des Gedichts aufzuhalten. Es sind genau solche Aktionen, wegen derer man der kompletten feministischen Bewegung dann nachsagt, sie hätten sowieso nichts Besseres zu tun. Das schadet der Bewegung."

Anmerkungen: Das ist schon eine sehr gewagte Schlußfolgerung, durch diese Reihung -- wie Sie es nennen -- von einer Degradierung der Frau zum Objekt zu sprechen ... Das sehe ich überhaupt nicht so! Und überdies bleiben Sie bei Ihrem Reihungsgedanken nicht einmal konsequent, denn das letzte Substantiv in dieser "Reihung" (als was Sie das empfinden) lautet nicht mujeres, sondern avenidas ...  Demzufolge müßten Sie, Ihrer eigenen Logik entsprechend, vom Mann, der zum Objekt (z.B. des etwas sehen Müssenden ...) degradiert wird, sprechen. Aber ich halte diesen Reihungsaspekt ohnehin nicht für die zentrale Erscheinungsform des Gedichtes, sondern sehe alle genannten Teile als ineinander verwoben an, eben als einer schönen Momentaufnahme des Empfindens entsprechend. Richtig liegen Sie allerdings mit Ihrer (teilweise allerdings nur impliziten) Feststellung, daß durch kontraproduktive Handlungen Bewegungen oft ihrer eigenen Sache mehr schaden als nützen; dies trifft natürlich auch auf einige Vertreter / Vertreterinnen des Feminismus zu.

Wer einen, zugegeben sehr kleinen, Einblick von Heike Mißler erhalten möchte, dem empfehle ich den Videoclip "Heike Mißler empfiehlt: Laurie Penny", in dem sie Pennys beide Bücher "Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus." (Nautilus Flugschrift, TB 14,00 Euro) sowie "Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution" (Nautilus Flugschrift, TB 18,00 Euro) vorstellt. Heike Mißler ist an der Universität des Saarlandes als Senior Lecturer tätig, beschäftigt sich u.a. mit den Schwerpunkten Gender and Queer Studies, Feminist Theory sowie Popular Culture Studies. Ihre Dissertation hat sie über die Thematik "The Cultural Politics of Chick Lit" verfasst.

Hier noch die vorhin angekündigte Episode, die ich -- obwohl wissend damit nicht bei allzu vielen Sympathien erwerben zu können -- hier noch schildern möchte. Es war in den 70er Jahren auf einer Party. Sie war unterhaltsam, die Stimmung war angenehm. Es war auch eine Dreiergruppe unter mehreren Frauen anwesend, welche sich sehr emanzipiert gaben (das wirkte allerdings bisweilen auch etwas sehr aufgesetzt); später sonderten sie sich leicht etwas ab und unterhielten sich über ihre Monatsblutungsprobleme (Periode), dies dann auch im Kontext mit den unterschiedlichen Mondphasen und deren Auswirkungen auf ihre jeweilige Befindlichkeiten. Soweit sicherlich nicht besonders spektakulär. Auffallend war jedoch, daß sie sich einerseits recht geheimnisvoll gaben, jedoch andererseits laut genug sprachen, damit ihr Reden nicht in ihrem eigenen Einflußbereich verblieb. Und immer wieder die Blicke bedeutungsschwanger auf die restlichen Gäste gerichtet, dabei jedoch unvermindert weiter redend. Unverkennbar: eine merkwürdige Mischung aus Auffallenwollen und Geheimniskrämerei. Später setzte die Gruppe sich dann wieder zu uns. In einer der zunehmenden Schweigephasen nahm ich dann den geflochtenen Henkelkorb einer der sogenannten Emanzipierten, hob ihn vom Boden leicht hoch und sagte nur: "Aha. Rotkäppchen." Die Emanzipierte wurde sofort böse und reagierte recht aggressiv, während ein paar andere Frauen das lustig fanden. Ich fand es weder lustig, schon gar nicht genial; mein Gedanke, der einerseits aus den Beobachtungen andererseits durch die Schweigephasen geboren war, ging dahin, eine kognitive Dissonanz zu schaffen, um zu sehen, wie jene "Emanzipierte" darauf reagieren würde. Ehrlich gestanden: meine heimliche These war, daß sie damit wohl nicht souverän umgehen würde, was dann letztlich auch der Fall war. Ich hatte sie sehr richtig eingeschätzt. Allerdings nicht durch Mutmaßungen, sondern weil sie selbst mir dazu die entsprechenden Indizien geliefert hatte. Sie wurde, wie schon gesagt, richtig aggressiv, steigerte sich noch in diesen Zustand hinein, obwohl ich keinerlei weiteres Öl in dieses Feuer hinein goß. Zwei Worte, nämlich "Aha" und "Rotkäppchen", aber große Wirkung. Jemand mit Souveränität, jemand mit  Selbstsicherheit, jemand der tatsächlich auf dem Wege zu echter Emanzipation gewesen wäre, hätte darauf entweder gar nicht reagiert, oder aber vielleicht auch nur gewitzt gekontert, von mir aus auch "Arsch" o.ä. gesagt. Aber dazu war jene nicht fähig. Ich gebe zu: mein Experiment war irgendwie gemein. Aber es ist mir im Leben immer wieder aufgefallen, daß gerade jene, die besonders groß in Sachen Emanzipation aufsprechen, in konreter Betroffenheit und bei echter Herausforderung sehr kleine Brötchen backen. Nota bene: ich weiß, so sollte man sich auf einer Party nicht verhalten, aber gewisse Leute reizen auch schon mal dazu, übliche Konventionen zu durchbrechen. Ob ich das heute nochmals machen würde? Eher nicht, denn jener Menschentypus ist mir -- bayerisch gesprochen -- längst ziemlich wurscht ...


IV

Gedanken zu Sex und Scham

... demnächst dann ...